Marli war zwei, als sie zu mir kam. Kein süßer kleiner Welpe mehr, sondern ein ausgewachsener Mischlingshund mit eigenem Carakter und Kopf, mit eigener Vorgeschichte und Erfahrungen, die ich nicht kenne. Ihre Eltern sind unbekannt, ebenso wenig weiß ich, welche Rassen in ihr stecken. Ihr Alter wurde geschätzt und über ihre Zeit auf der Straße, bevor sie zu Vaggelio kam, kann nur spekuliert werden.
Wieso sollte man sich also bei all diesen fehlenden Informationen über den Hund überhaupt einen Hund aus dem Tierschutz holen? Und sind Tierschutzhunde nicht ohnehin meistens schwierige Fälle?
Leider halten sich tatsächlich einige Vorurteile gegenüber Straßenhunden recht hartknäckig und stehen der Vermittlung der Vierbeiner oft im Weg. Dabei sind viele von ihnen unbegründet.
Hier habe ich einmal versucht, eine Übersicht der häufigsten Vorurteile oder Bedenken gegenüber Straßenhunden aufzustellen und sie ein wenig aufzudröseln:
- Straßenhunde haben KrankheitenStraßenhunde haben auf Grund ihrer Lebensweise mit anderen und teilweise auch mit mehr Krankheiten zu kämpfen als gut umsorgte Haushunde in Deutschland. Welche Krankheiten bei Straßenhunden auftreten können, ist unter anderem stark abhängig davon, in welchem Land sie leben. Ein Herzwurmbefall, wie Marli ihn hatte, ist eine von Mücken übertragene typische Mittelmeerkrankheit, die es bei uns in Deutschland nicht gibt. ABER: seriöse Tierschutzorganisationen und Vereine gehen mit den Krankheitsgeschichten ihrer Schützlinge bei einer potentiellen Vermittlung sehr transparent um und informieren die Interessenten über Krankheiten, die der Hund in der Vergangenheit hatte oder die er noch hat. Marlis Herzwurmbehandlung war völlig unproblematisch. Zudem werden die Tiere oft noch in ihren Heimatländern gegen dort typische Krankheiten behandelt oder geimpft. Bei seriösen Vermittlungen von Straßenhunden haben die Interessenten also stets die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Hinzufügen möchte ich noch, dass ich ehemalige Straßenhunde kenne, die ohne jede Krankheit nach Deutschland gekommen sind und ganz normal gegen alle Standarterkrankungen geimpft wurden, genau wie die meisten Hunde in Deutschland.
- Straßenhunde sind alt
Nicht ausschließlich. Ja, es gibt Straßenhunde in der Obhut von Tierschutzorganisationen, die älter oder bereits sehr alt sind (aber auch diese Hunde sind glücklich, wenn sie die Jahre, die sie noch haben, in einer liebevollen Familie verbringen dürfen). Oft werden von TierschützerInnen aber auch ganze Würfe von der Straße gesammelt und diese Welpen suchen dann ebenfalls ein zu Hause. Ob Welpe, Junghund oder schon erwachsener Vierbeiner - Straßenhunde finden sich in nahezu jeder Altersklasse und ob lieber ein Welpe oder doch ein schon etwas älteres Tier zu Hause einziehen soll, dazu sollte man sich am besten vorher gut informieren. - Straßenhunde sind schlecht sozialisiert und haben VerhaltensproblemeJeder Hund ist individuell durch seine Vorgeschichte und seine Lebensumstände. Schaut man sich einmal Straßenhunde an, die in Städten leben, dann kennen sie sowohl Menschen als auch andere Hunde. Oft führt dies unter den Hunden zu einem recht guten Sozialverhalten, da die Tiere mit anderen Hunde aufwachsen, lernen zu kommunizieren und Streit oder Kämpfen oftmals deeskalierend zu begegnen, denn jeder Kampf kostet Energie.
Bei Verhaltensproblemen stellt sich die Frage, ob ein Straßenhund tatsächlich ein Problemverhalten zeigt oder einfach ein anderes, als man es erwartet oder vielleicht auch von Hunden, die in behüteten Haushalten groß geworden sind, kennt. Straßenhunde sind oftmals sehr eigenständig und treffen eigene Entscheidungen. Kein schlechtes Verhalten auf der Straße, wenn es darum geht, zu überleben, aber vielleicht ist genau dieses Verhalten beim Enzug in eine Familie nicht mehr gewünscht.
Seriöse Tierschutzorganisationen können oftmal bereits einiges über den Charakter des Tieres erzählen und das Angebot für Hilfe bei der Erziehung eines Hundes ist mittlerweile sehr vielfältig und groß. Zudem gibt es viele Faktoren, die man als HundehalterIn in Bezug auf seinen Hund positiv beeinflussen kann. Man sollte sich von Beginn an bewusst darüber sein, dass Hundeerziehung Arbeit bedeutet, egal ob Welpe aus der Zucht oder Straßenhund aus dem Tierschutz. - Mit einem erwachsenen Straßenhund kann man keine so innige Verbindung aufbauen wie mit einem WelpenDieses Vorurteil kann ich aus eigener Erfahrung entkräften. Die Bindung zwischen einem Menschen und dem Hund entsteht nicht automatisch oder hauptsächlich dadurch, dass der Hund ab Woche 12 bei dem Menschen wohnt und von ihm gefüttert wird. Eine Bindung entsteht dadurch, dass sich beide miteinander beschäftigen. Bindung entsteht durch Spiel, durch Training, durch gemeinsame Erlebnisse, durch teilen von Momenten, durch Erziehung, durch Training, durch gemeinsame Erfolgserlebnisse und damit schlussendlich durch Vertrauen. All die oben genannten Punkte lassen sich mit einem Straßenhund genauso erfahren wie mit einem Welpen. Zum Glück für meine Marlil und mich.