Marli ist ein Second-Hand-Hund, ein Hund aus zweiter Hand, ein Hund mit Vorgeschichte. Als ich mich dazu entschied, einen Hund bei mir aufzunehmen, war für mich von vornherein klar, dass es ein Hund aus dem Tierschutz werden würde. Das hatte mehrere Gründe: Ich bin zwar mit Hunden in der Familie groß geworden, aber das macht mich nicht zur einer Expertin für ihr Verhalten und ihre Bedürfnisse. Einen Welpen zu erziehen kam für mich daher nicht in Frage. Zudem vertrete ich die Menung, dass sowohl deutsche Tierheime als auch ausländische Shelter voll mit heimatlosen Hunden und Tieren im Allgemeinen sind, die gerne ein zu Hause hätten. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich niemanden verteufel, der einen Welpen von einem Züchter/einer Züchterin holt. Nur sollte dies (genau wie beim Tierschutzhund) mit viel Bedacht und Vorüberlegungen gemacht werden, denn auch in der Hundezucht gibt es jede Menge schwarze Schafe, denen Profit wichtiger ist als das Wohl der Tiere.
Ebenso wie ein Welpe kam es für mich nicht in Frage, einen sehr verhaltensauffälligen Hund bei mir aufzunemen. Verhaltensauffällig bedeutete in diesem Fall beispielsweise einen Angsthund oder einen Hund mit Angstaggression. Nicht, weil ich nicht finde, dass diese Hunde kein Zuhause verdient haben (diese Hunde haben es wohl am allermeisten verdient, endlich irgendwo ihr Forever-Home zufinden, denn oft haben sie schreckliches erlebt, weswegen sie sich so verhalten, wie sie es tun), ich finde allerdings, dass diese Hunde in sehr erfahrene Hände und in die Obhut von Menschen gehören, die ihnen wirklich das geben und vermitteln können, was sie brauchen.
Marli war zwei, als sie zu mir kam. Kein süßer kleiner Welpe mehr, sondern ein ausgewachsener Mischlingshund mit eigenem Carakter und Kopf, mit eigener Vorgeschichte und Erfahrungen, die ich nicht kenne. Ihre Eltern sind unbekannt, ebenso wenig weiß ich, welche Rassen in ihr stecken. Ihr Alter wurde geschätzt und über ihre Zeit auf der Straße, bevor sie zu Vaggelio kam, kann nur spekuliert werden.
Wieso sollte man sich also bei all diesen fehlenden Informationen über den Hund überhaupt einen Hund aus dem Tierschutz holen? Und sind Tierschutzhunde nicht ohnehin meistens schwierige Fälle?

Für mich ist erstmal eines ganz klar: Ein Hund, egal ob aus dem Tierschutz oder aus der Zucht, ist ein Individuum. Und somit die Summe vieler Faktoren, genau wie jeder einzelne Mensch. Ein Hund, sein Charakter und sein Verhalten werden von vielen Einflüssen geformt. Dazu gehören zum einen die genetische Ausstattung, die Rasse und damit einhergehend auch ein Stück weit das Temperament des Tieres. Erfahrungen, die in frühen Lebensjahren gemacht werden, prägen den Hund, ebenso wie der Grad der Sozialisation, die Gesundheit, persönliche Motivation und Ressourcen in der Umwelt sowie Erfahrungen im weiteren Verlauf des Lebens. Erstmal sind dies alles Faktoren, keine Wertungen. Allerdings können sich diese negativ oder positiv auf das Tier auswirken. Was davon zutrifft, ist ebenfalls von Hund zu Hund individuell. Zwei Hunde können mit ein und derselben Situation völlig unterschidlich umgehen. Das bedeutet aber auch, und das ist das Schöne, dass ich, als Mensch, der sich für einen Straßenhund entschieden hat, eine Menge Möglichkeiten habe, auf einige der oben genannten Faktoren Einfluss zu nehmen.
Leider halten sich tatsächlich einige Vorurteile gegenüber Straßenhunden recht hartknäckig und stehen der Vermittlung der Vierbeiner oft im Weg. Dabei sind viele von ihnen unbegründet.
Hier habe ich einmal versucht, eine Übersicht der häufigsten Vorurteile oder Bedenken gegenüber Straßenhunden aufzustellen und sie ein wenig aufzudröseln:
- Straßenhunde haben Krankheiten

Straßenhunde haben auf Grund ihrer Lebensweise mit anderen und teilweise auch mit mehr Krankheiten zu kämpfen als gut umsorgte Haushunde in Deutschland. Welche Krankheiten bei Straßenhunden auftreten können, ist unter anderem stark abhängig davon, in welchem Land sie leben. Ein Herzwurmbefall, wie Marli ihn hatte, ist eine von Mücken übertragene typische Mittelmeerkrankheit, die es bei uns in Deutschland nicht gibt. ABER: seriöse Tierschutzorganisationen und Vereine gehen mit den Krankheitsgeschichten ihrer Schützlinge bei einer potentiellen Vermittlung sehr transparent um und informieren die Interessenten über Krankheiten, die der Hund in der Vergangenheit hatte oder die er noch hat. Marlis Herzwurmbehandlung war völlig unproblematisch. Zudem werden die Tiere oft noch in ihren Heimatländern gegen dort typische Krankheiten behandelt oder geimpft. Bei seriösen Vermittlungen von Straßenhunden haben die Interessenten also stets die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Hinzufügen möchte ich noch, dass ich ehemalige Straßenhunde kenne, die ohne jede Krankheit nach Deutschland gekommen sind und ganz normal gegen alle Standarterkrankungen geimpft wurden, genau wie die meisten Hunde in Deutschland.
Straßenhunde sind alt
Nicht ausschließlich. Ja, es gibt Straßenhunde in der Obhut von Tierschutzorganisationen, die älter oder bereits sehr alt sind (aber auch diese Hunde sind glücklich, wenn sie die Jahre, die sie noch haben, in einer liebevollen Familie verbringen dürfen). Oft werden von TierschützerInnen aber auch ganze Würfe von der Straße gesammelt und diese Welpen suchen dann ebenfalls ein zu Hause. Ob Welpe, Junghund oder schon erwachsener Vierbeiner - Straßenhunde finden sich in nahezu jeder Altersklasse und ob lieber ein Welpe oder doch ein schon etwas älteres Tier zu Hause einziehen soll, dazu sollte man sich am besten vorher gut informieren.

Straßenhunde sind schlecht sozialisiert und haben Verhaltensprobleme
Jeder Hund ist individuell durch seine Vorgeschichte und seine Lebensumstände. Schaut man sich einmal Straßenhunde an, die in Städten leben, dann kennen sie sowohl Menschen als auch andere Hunde. Oft führt dies unter den Hunden zu einem recht guten Sozialverhalten, da die Tiere mit anderen Hunde aufwachsen, lernen zu kommunizieren und Streit oder Kämpfen oftmals deeskalierend zu begegnen, denn jeder Kampf kostet Energie.
Bei Verhaltensproblemen stellt sich die Frage, ob ein Straßenhund tatsächlich ein Problemverhalten zeigt oder einfach ein anderes, als man es erwartet oder vielleicht auch von Hunden, die in behüteten Haushalten groß geworden sind, kennt. Straßenhunde sind oftmals sehr eigenständig und treffen eigene Entscheidungen. Kein schlechtes Verhalten auf der Straße, wenn es darum geht, zu überleben, aber vielleicht ist genau dieses Verhalten beim Enzug in eine Familie nicht mehr gewünscht.
Seriöse Tierschutzorganisationen können oftmal bereits einiges über den Charakter des Tieres erzählen und das Angebot für Hilfe bei der Erziehung eines Hundes ist mittlerweile sehr vielfältig und groß. Zudem gibt es viele Faktoren, die man als HundehalterIn in Bezug auf seinen Hund positiv beeinflussen kann. Man sollte sich von Beginn an bewusst darüber sein, dass Hundeerziehung Arbeit bedeutet, egal ob Welpe aus der Zucht oder Straßenhund aus dem Tierschutz.

- Mit einem erwachsenen Straßenhund kann man keine so innige Verbindung aufbauen wie mit einem Welpen
Dieses Vorurteil kann ich aus eigener Erfahrung entkräften. Die Bindung zwischen einem Menschen und dem Hund entsteht nicht automatisch oder hauptsächlich dadurch, dass der Hund ab Woche 12 bei dem Menschen wohnt und von ihm gefüttert wird. Eine Bindung entsteht dadurch, dass sich beide miteinander beschäftigen. Bindung entsteht durch Spiel, durch Training, durch gemeinsame Erlebnisse, durch teilen von Momenten, durch Erziehung, durch Training, durch gemeinsame Erfolgserlebnisse und damit schlussendlich durch Vertrauen. All die oben genannten Punkte lassen sich mit einem Straßenhund genauso erfahren wie mit einem Welpen. Zum Glück für meine Marlil und mich.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Beitrag die Vorurteile gegenüber Straßen- und Tierschutzhunden ein wenig entkräften. Ich kann nur immer wieder sagen, wie glücklich ich bin, dass Marli an meiner Seite ist. Und ich würde mich jederzeit wieder für einen Hund aus dem Tierschutz entscheiden.